Rückkehr nach Hause

 

 

„Nach Schätzungen der internationalen Organisationen, in Bosnien und Herzegowina sind immer noch mehr als 3 Millionen explosiven Gegenständen irgendwo begraben. Ein großes Problem beim Räumen der Landminen sind fehlende Pläne und Dokumentation.“

Er legte die Zeitung auf den Schoß und wiederholte es für sich „DREI MILIONEN!“. Bosnien und Herzegowina hat etwas mehr als 3 Millionen Einwohner. Das heißt, auf fast jeden Einwohner kommt eine Mine oder Bombe! Er lebte zwar nicht dort aber er ist ein Bosnier. Irgendwo in den Bergen Bosniens war „seine“ Mine und wartete darauf aktiviert zu werden!

Drei Millionen Mörder waren noch dort nach dem Krieg, den er nicht wollte und nicht führte. Er hatte seine Heimat verlassen, bevor das ganze Chaos begann. Der Krieg begann für ihn mit den Fernsehbildern maskierter Gestalten auf den Straßen seiner Heimatstadt. Die Kriegsjahre waren Jahre der Verzweiflung, Tränen, Angst… Angst um seine Eltern und andere liebe Menschen.

Es sind Narben nach dem Krieg geblieben. Und Minen! Er versuchte sich vorzustellen, wie es aussehen würde, wenn man alle Minen sammeln würde. Das wäre ein Berg von dem man die Sonne nicht sehen könnte. In diesem Berg wäre auch seine Mine. Er hat sich gefragt, wie sie aussieht. Er hat in der Armee schon verschiedenen Minen gesehen, wie ein Teller, oder eine Birne, auf einem Stock befestigt… Er wusste nicht viel über Waffen, denn in der Jugoslawische Armee war er Funker. Nur einmal hatte er bei einer Übung geschossen und eine Handgranate geworfen.

DREI MILLIONEN!!! Wieviel unschuldige Menschen, von allem Kinder noch sterben oder verletzt werden! Es ist sehr unwahrscheinlich, dass dieses Land irgendwann frei von Minen sein wird.

Manchmal dachte er, warum machte er sich so viele Gedanken.  Er hatte am Krieg nicht teilgenommen und keine Mine vergraben. Andererseits, was hat er eigentlich für seinen Heimat gemacht? Er hat Geld gespendet, aus Protest einen Hungerstreik gemacht… Aber, war das genug? Er hatte ein schlechtes Gewissen. Irgendwo lag „seine“ Mine, die vielleicht ein Kind töten oder schwer verletzen könnte. Außer, er findet sie. Dieser Gedanke ließ ihn nicht in Ruhe.

Er musste die verdammte Mine finden!

+++

Er stieg aus dem Bus in einer kleinen Stadt die er gut kannte. Der Krieg hat Spuren an Leuten und der Stadt hinterlassen. Die Leute liefen mit traurigen Gesichtern und teilweise in Militäruniformen bekleidet. Er kaufte Lebensmittel und Sachen die er wahrscheinlich brauchen könnte und machte sich auf dem Weg ins Dorf, wo er seine Schulferien beim Opa verbrachte. Er hatte schon gehört, dass das Dorf zerstört war. Er traute sich nicht die Abkürzung zu nehmen, die er als Kind immer benutzte. Er ging die Straße entlang, wo er im Winter gerodelt war. Die Häuser neben der Straße waren zerstört, verbrannt, menschenleer. Er hielt an eine Kurve, von wo man die ganze Stadt sehen konnte. Er fühlte, dass Irgendwas in der Luft lag, dass die Stadt und ihn selber bedrückte. Auf dem Weg zum Dorf besuchte er den Friedhof, auf dem viele seiner Verwandten lagen.

Er bog von der Hauptstraße ab, auf den kleinen Weg zum Dorf. Auf diesem Weg hatte er mit Dorfkindern Fußball gespielt. Das war die einzige einigermaßen ebene Stelle, denn das Dorf lag in den Bergen. Neben dem Weg ging es steil ab und oft ist der Ball durch den Zaun durchgekommen und landete weit weg unten im Busch. Der, der als letzte den Ball spielte, musste den Berg hinunter, um den Ball zu holen. Es passierte schon, dass er den Ball holen musste, während die Anderen im Grass lagen und sich köstlich amüsierten. Sie hatten keine Lederbälle, sondern Bälle aus Plastik wodurch diese wie wild herumsprangen. Neben dem Weg war immer noch ein alter Birnenbaum mit sehr leckeren und süßen Birnen. Der Besitzer war sehr böse, wenn er Kinder beim Birnenklauen erwischte. Auf dem Weg lagen abgefallene Birnen und er sammelte sie und aß sie. Sie schmeckten lecker, wie früher. Das Haus des alten Mannes war jetzt ohne Dach und mit schwarzen Wänden. Auch andere Häuser, die er sah, waren ohne Dächer, Fenster… Es war toten Stille. Er konnte keine Vögel oder andere Tiere sehen. Nur Fliegen.  Die Pflaumenbäume in Obstgärten bogen sich unter der Last der Fruchte. Als Kind sammelte er Pflaumen und sein Opa brannte Sliwowitz und die Oma machte leckere Marmelade. Schnapsbrennen war immer ein besonderes Ereignis. Männer aus dem Dorf kamen zum Helfen, tranken Schnaps, aßen geräuchertes Fleisch und erzählten Geschichten von Früher. Je mehr sie tranken, desto wilder und spannender waren die Geschichten, größer das gejagte Wild und schöner die geküssten Frauen.

Er kam ans Ende der kleinen Straße, die zum Haus seines Opas führte. Das Haus war nicht mehr da. Er sah nur Ruinen. Das war ein einfaches Holzhaus, von seinen Opa gebaut. Nur der Keller hatte Wände aus Stein und das war das Einzige was noch an ein Haus erinnerte. Der Stall für Kühe, Schweine, Hühner war auch nicht mehr da. Wilde Büsche waren überall und man konnte nur erahnen, wo der Weg zur Wasserquelle und dem Wald führte. Er hatte gehört, dass nicht weit im Wald die Abwehrlinie mit den Schutzgräben war. Er ging zur Wasserquelle sich zu erfrischen. Das Wasser kam durch ein Rohr aus dem Betontank und war schön kalt und erfrischend. Er ging zu Mitte des Hofes, schloss die Augen und versuchte sich an das Haus zu erinnern. Das Haus war weiß mit großer Veranda und Treppen, die zum Dachboden führten. Er war oft auf dem Dachboden, wenn Oma und Opa nicht zu Hause waren. Es war sehr spannend alte Holzkisten zu durchwühlen. In einer Kiste hatte er erotische Magazine gefunden, die sein Onkel dort deponierte. Er hatte sie heimlich genommen und anderen Dorfkinder gezeigt. Das war eine große Sensation, weil keines der Kinder zuvor eine nackte Frau gesehen hatte.

Das Haus hatte einen großen Raum mit einem Herd, Tisch und einem Diwan, wo der Opa die meiste Zeit saß und rauchte. Neben dem Fenster stand das Fernsehgerät. Viele Jahre lang war es das einzige Fernsehergerät im Dorf. Viele Dorfbewohner kamen samstags Volksmusik oder Western Filme zu schauen. Besondere Ereignisse waren die Boxkämpfe von Mohammed Ali. Die Übertragungen waren in der Mitte der Nacht. Er schlief nicht und beobachtete durch das Fenster, wie sich Männer mit Taschenlampen aus Dorfhäusern auf den Weg zu Opas Haus machten. Das Haus hatte noch zwei große Schlafzimmer und eine Abstellkammer. Viele Jahre gabs nur ein Plumpsklo. Er hatte Angst nachts hinzugehen und versuchte es bis zum Morgen auszuhalten. Wenn es nicht ging, hatte er von der Veranda in den Hof gepinkelt. Später wurde ein Bad mit Klo im Haus gebaut. Neben dem Haus war der Stall für die Tiere und ein Heuschuppen. Er hatte an dem Heuschuppen einen Korb befestigt um Basketball zu spielen.

Er öffnete die Augen. Alles, was er in seinen Erinnerungen hatte, war nicht mehr da. Beim durchstöbern der Ruinen fand er eine rostige Sichel. Mit dieser befreite er eine Ecke der Ruinen vom Busch. Aus Angst vor Schlangen entzündete er Gummistiefel, den er im Busch fand. Von seinem Opa hatte er gehört, dass Schlangen diesen Geruch nicht mögen. Er fand auch eine großes Stück Wellblech, aus welchem das Dach des Hauses gemacht war. Er legte das Blech über die Ecke, welche er zuvor vom Busch befreit hatte. Nun hatte er ein Dach über den Kopf. Die mitgebrachten Sachen hängte er an Wänden auf, so dass sie von Mäusen nicht beschädigt werden konnten. In der ehemaligen Räucherkammer zündete er Feuer an und machte eine mitgebrachte Dose mit Bohnensuppe warm. Es war schon dunkel und er legte sich in seinen Schlafsack. Er war sehr müde.

Am nächsten Morgen stand er durchgefroren und nicht ausgeschlafen auf. Es tat ihm alles weh. Das letztes Mal schlief er im Schlafsack auf dem Boden als er mit Freunden Urlaub an der Adria Küste machte. Das war schon lange hier und er war sehr Jung. Damals macht es ihm nichts aus, aber jetzt war er schon am Anfang des Tages kaputt. Er saß neben dem Feuer und fragte sich, was er eigentlich hier machte. Er konnte jetzt ausgeschlafen zu Hause sitzen und mit seiner Frau einen Kaffee trinken. Er hatte keinen Plan, wie er das was er vorhatte, umsetzen sollte. Er traf oft Entscheidungen aus dem Bauch heraus ohne über die Folgen und Konsequenzen nachzudenken.

Er ging den Weg in die Richtung der anderen Häuser im Dorf. Das war ein typisches bosnisches Dorf in den Bergen. Jeder Bauer hat sein Haus auf seinem Land gebaut und die Häuser waren sehr weit auseinander. Kein Wunder, dass die Infrastruktur sehr schlecht war. Man musste sehr lange Wasser- oder Stromleitungen bauen. Er hoffte jemanden in den Häusern zu finden. Niemand war da. Er stand neben dem großen Wallnussbaum bei einem Nachbarn. Er erinnerte sich an eine Schaukel, die an dem Baum befestigt war. Oft saß er freitags auf der Schaukel, darauf wartend die Lichter des Autos seines Vaters zu sehen und sang Lieder, die er sich ausdachte und die er nie mehr wiederholen konnte. Vom Baum konnte er Wiesen sehen auf welchen er zusammen mit den Dorfkindern auf Kühe und Schafe aufpasste. Die Dorfkinder hatten nie die große Stadt oder das Meer gesehen. Mit weit offenen Augen hörten sie zu, wenn er von hohen Häusern und endlosem Wasser erzählte. Im Winter fuhren sie Ski auf den Wiesen. Er hatte als Einziger „richtige“ Ski, die er von seinem Onkel aus Deutschland bekam. Das waren alte Ski zum Skispringen und er hatte keine passenden Schuhe dazu. Andere Kinder hatten Holzbretter genommen, diese ins Wasser getränkt und die Spitze gespreizt, sodass die gebeugt waren. Die Spitzen alter Gummistiefel wurde auf den Skiern befestigt, sodass man die Füße einstecken konnte. Keiner konnte mit Ski Kurven fahren oder Bremsen. Sie fuhren immer geradeaus bis sie auf dem gestreuten Heu stehen blieben. Es machte viel Spaß.

Er ging zu anderen Häusern im Dorf und fand keinen Menschen. Er fragte sich, wo alle waren. Leben sie überhaupt noch? Er hatte Glück, dass er schon im Ausland war, als der Krieg begann. Und jetzt war er da. Er und seine Mine. Er hatte keine Ahnung, was er machen sollte, wenn er sie finden würde. Wie aktiviert man eine Mine? Irgendwas ziehen? Klopfen? Sollte er alles abbrechen und nach Hause fahren? Keiner hätte gewusst, dass er dagewesen war. Aber, er wusste es!

Tage vergingen mit Rumlaufen und den aufkommenden Erinnerungen. Er traute sich nicht in den Wald zu gehen, wo heftige Kämpfe stattgefunden hatten. Er war zunehmend Müde und unsicher, was er eigentlich hier tat.

 

Und dann…

 

Er ging zu der Wasserquelle um frisches Wasser zu holen und merkte, dass er mit dem Fuß etwas bewegte. Er teilte das hohe Grass und sah eine Handgranate. Zusammenzuckend schrak er zurück. Sein Herz klopfte wie verrückt in seiner Brust. Er drehte sich um zu sehen, ob noch etwas da lag. Er wunderte sich, dass er die Granate nicht schon früher gesehen hatte, da er jeden Tag mehrmals Wasser von der Quelle holte. Die Granate war schmutzig von Erde, hatte einen Ring und einen Hebel. Er war sich nicht sicher, aber so eine hatte er aktiviert und geworfen, als er in der Armee war. Aber damals war ein Offizier dabei. Jetzt ist er alleine mit ihr, der Granate. Er versuchte sich zu erinnern, wie er es damals gemacht hatte. Wie lange dauerte es zwischen dem Ziehen der Sicherung und der Explosion? 2-3 Sekunden? Er hatte keine Ahnung. Er sah viele Kriegsfilme mit Partisanen, die Granaten warfen wie Tennisbälle. Es sah so einfach aus.

Er ging zurück zu der Ruine und beschloss zu schlafen und am nächsten Tag die Entscheidung zu treffen. Die ganze Nacht tat er kein Auge zu. Jetzt hatte er das was er wollte. Die Granate hatte bestimmt ein Soldat verloren, als er Wasser holen wollte. Wenn er nichts tat, es könnte passieren, dass ein Kind beim Wasser trinken die Bombe findet und aktiviert! Warum musste er eigentlich diesen Artikel über Minen in Bosnien lesen? Verdammt! Er konnte jetzt rasiert, sauber in der warmen Wohnung mit seiner Frau sitzen! Nur, jetzt gab es kein zurück. Er musste das machen, wofür er eigentlich gekommen war.

Er sammelte seine Sachen zusammen und brachte sie zum Walnussbaum. Langsam ging er zu der Wasserquelle, in der Hoffnung, die Granate nicht mehr zu finden. Das wäre eine Lösung. Aber, sie lag immer noch da, wo er sie gefunden hatte. Er hockte sich neben die Granate und überlegte zu beten. Er war nicht religiös und kannte kein Gebet. Seine Hände waren zittrig und nass vom Schweiß.  Er trocknete die Hände an seinen Hosen, teilte das Grass und fasste vorsichtig die Granate an. Er dachte, sein Herz würde aus der Brust springen. Er spürte im Kopf, wie sein Herz schlug. Die Granate war nass und kalt. Er hob sie vorsichtig langsam, als ob er ein Küken in Händen hielte und nicht eine Waffe gemacht Menschen, zu töten. Sie war nicht schwer, aber er hatte das Gefühl, dass sein ganzes Leben mit Freude, Trauer, Lachen und Tränen in seinen Händen lag.

Langsam, ohne den Blick von der Granate zu wenden, schritt er den schmalen Weg bis zu Ruine. Er schaute immer wieder wohin er seinem Fuß setzte. Der Schweiß lief von der Stirn in seine Augen aber er traute sich nicht die Stirn abzuwischen. Der Weg dauerte eine Ewigkeit. Am Ende des Weges stand er mit dem Gesicht zur Ruine und mit dem Rücken zur kleinen Straße. Er hoffte nicht niesen zu müssen. Das wäre tödlich.

Mit der linken Hand griff er fest die Granate und drückte den Hebel durch. Die rechte Hand wischte er an seinen Hosen ab und mit dem Zeigefinger griff den Ring der Sicherung. Er schloss die Augen, atmete tief ein und zog an dem Ring. Die Sicherung blieb frei in der Hand. Er wusste, jetzt gibt es kein zurück. Er öffnete seine Augen und schaute auf die Granate in der linken und die Sicherung in der rechten Hand. Er hörte sich selbst, wie er schrie. Mit beiden Händen warf er die Granate in die Ruine, drehte sich um und rannte den Weg in die Richtung des Walnussbaums. Er hatte das Gefühl, dass sich der Baum immer weiter von ihm entfernt, statt dass er ihm näherkommt. Als er endlich ankam, setzte er sich hinter den Baum. Sein Herz pochte. Es passierte nichts. Er fragte sich, ob die Granate schon explodiert war und er es nicht mitbekommen hatte. War sie kaputt oder ein Blindgänger?  Er war sich sicher, dass er nicht zurück gehen würde, um dies zu prüfen. Er zitterte und atmete schwer.

Als er dachte, es würde nicht mehr passieren, hörte er einen gedämpften Knall.

+ + +

Er öffnete die Wohnungstür und atmete erleichtert auf, nahm den Telefonhörer und wählte das Büro seiner Frau. Als er ihre Stimme hörte, sagte:

„Ich bin zu Hause!“

 

 




 

Wer gewinnt?

Wer gewinnt?

  • Du!
  • Was ist?
  • Ich kann nicht mehr zuschauen, wie du dich quälst. Entweder schreib etwas oder lass es sein!
  • Oh Mann, ich muss meine Hausaufgabe schreiben und habe weder Inspiration noch Konzentration um zu schreiben.
  • Dann schalte den PC aus und den Fernseher an. Bald kommt Fußball.
  • Du bist eine Nervensäge! Mach mir das Leben nicht noch schwerer! Es ist nicht nur schwierig so einen Text zu schreiben, sondern, du sitzt mir auch noch im Nacken. Mal willst du dass ich Gitarre spiele, mal dass ich noch einen Spaziergang zum Kühlschrank mache! Du machst mich wahnsinnig!!!!
  • Entschuldigung, das ist meine Aufgabe! Hast du das schon vergessen?! Ich bin dein innerer Schweinehund!
  • Aber ich muss den Text schreiben!
  • Streber!
  • Du kennst mich doch! Wenn ich etwas mache, dann mache ich es richtig.
  • Mach, was du willst! Ich werde mein Vergnügen haben. Bald werde ich Fußball schauen, bald zuschauen, wie du dich weiter quälst. Viel Spaß!
  • Duuuu!       Hund!!
  • Innerer Schweinehund heiße ich! Was ist denn?
  • Ich habe auch mein Vergnügen.
  • Wie? Beim Schreiben?
  • Ich habe sowohl meinen Text geschrieben, als auch dich wieder mal besiegt! Du hast mir noch geholfen. Danke!
  • Du hast wieder mal Schwein gehabt.
  • Innerer Schweinehund, mein liebster Gegner! Lass uns ein Bier trinken und Fußball schauen. Was meinst du, wer gewinnt?
Der Legionär

Der Legionär

Antoine war schrecklich müde. Er musste schnell weg, weg von dieser Leiche, die auf dem Boden lag. In der Brust der Leiche steckte ein Messer. Auf dem Tisch lag eine große Menge Geldscheine, die Antoine in einen Alukoffer steckte. Ein Bündel mit Blut verschmierten Geldscheinen steckte in der Hand der Leiche. Antoine versuchte, die Hand der Leiche zu öffnen und das Geld zu entnehmen. Doch der Krampf war zu stark und es gelang ihm nicht. „Ah, was soll’s? Es ist sowieso nicht brauchbar.“ – dachte er. Im Koffer war genug Geld; genug Geld für ein neues Leben, von dem er geträumt hatte. Er durfte nur keinen Fehler machen. Bis jetzt lief alles, wie er es geplant hatte.

Er schaute durch das schmutzige Fenster hinaus in den Wald. Es fing an zu regnen. Vielleicht wäre es besser, im Dunkeln weiterzufahren, überlegte er. Bis dann konnte er ein kleines Nickerchen machen. Von alten Säcken, die überall herum lagen,  machte er sich in einer Ecke einen Platz zum Schlafen. Den Koffer legte er sich als Kissen hin, nahm die Pistole in die Hand und legte sich hin. Er lauschte dem Bach, der unter der Wassermühle floss und schlief nach wenigen Augenblicken ein.

***

            Antoine war in Marseille geboren. Er war in einem Arbeiterviertel aufgewachsen, wo er alle Voraussetzungen gehabt hatte, ein Krimineller zu werden. Das wurde er auch. Zwei Jahre verbrachte er  wegen Drogenhandels und Diebstahls im Gefängnis. Mit 22 ging er zur Fremdenlegion und die nächsten 15 Jahre verbrachte er als Soldat. Beim Einsatz in Mosambik lernte er René kennen. Als sie die Legion verließen, hatten sie schon einen Plan für einen Banküberfall. Bevor René zur Legion kam, hatte er als Installateur bei einer Firma für Lüftungsanlagen gearbeitet. Diese Firma hatte die Lüftungsanlage in eine Filiale National Bank de’ Paris in Caen eingebaut. Das war die Bank, die sie überfallen wollten.

Sie nahmen ein Zimmer in einer Pension. Antoine rief die Bank an und machte mit dem Bankdirektor einen Termin für Freitag aus. Er wollte angeblich, eine höhere Summe  seines Geldes anlegen und sich von dem Bankdirektor beraten lassen. Donnerstagnacht gingen sie in die Tiefgarage des Bürohauses und präparierten die Lüftung, die in die Bank führte. Sie bauten eine umgebaute Nebelmaschine in die Lüftung ein, die nach der Aktivierung per Funk statt Nebel ein Betäubungsgas verbreiten sollte. Dieses Gas hatte eine sehr schnelle Wirkung, so dass man in wenigen Sekunden  ohnmächtig wurde.

Am Freitag kurz nach Mittag zog Antoine die Perücke an und klebte einen Vollbart auf sein Gesicht. Das war das erste Mal in seinem Leben, dass er einen Anzug anhatte und er stand ihm gut. Er konnte sich leicht vorstellen – sollte alles gut laufen – in Zukunft öfter einen Anzug zu tragen. Vielleicht sogar von Armani. Dieser Gedanke gefiel ihm. René war schon bereit. Sie machten noch ihr Begrüßungsritual, das sie immer vor dem Einsatz bei der Legion gemacht hatten und gingen zu ihren Autos. Antoine fuhr direkt vor die Bank. René parkte in einer Seitenstraße.

Antoine nahm seinen Alukoffer aus dem Kofferraum und ging in die Bank. René machte sich auf den Weg zum Geldautomaten vor der Bank. Nachdem sich Antoine an einen Schalter gemeldet hatte, kam der Bankdirektor und sie gingen gemeinsam ins Büro des Direktors. René stand vor dem Geldautomaten und beobachtete den Innenraum der Bank. Es waren nur drei Kunden,  ein Wachmann und drei Angestellte im Schalterraum.

Antoine setzte sich auf den Stuhl und der Direktor bot ihm einen Kaffee an. In diesem Moment klingelte Antoines Handy. Das war das Signal, dass René die Nebelmaschine aktiviert hatte. Antoine hatte nicht viel Zeit. Der Direktor drehte sich mit einer Tasse Kaffee in der Hand zu Antoine um und in diesem Augenblick traf ihn ein kräftiger Schlag ins Gesicht. Er verlor das Gleichgewicht und fiel um. Antoine machte schnell den Koffer auf und nahm zwei Gasmasken heraus. Eine Gasmaske setzte er sich selbst und die andere dem Direktor auf.  Er kniete sich auf die Brust des Direktors, zog die Pistole aus der Tasche und sagte zum Direktor: “Bleiben Sie ruhig!“.

René beobachtete den Schalterraum und wartete auf seinen Einsatz. Als er merkte dass eine Angestellte hinter dem Schalter umfiel, wusste er, dass das Gas wirkte. Einer nach dem anderen fielen alle Personen im Schalterraum auf den Boden. Er hielt den Atem an und betrat   die Bank. Als er drin war, zog er eine Gasmaske an, klebte einen Zettel an die Tür mit dem Text:

 “ Liebe Kunden, wegen Problemen mit dem Computersystem ist unsere Bank vorübergehend geschlossen. Wir danken für Ihr Verständnis“

Die Rollos vor dem Schaufenster rollte er herunter und fesselte den Wachmann. Antoine befahl dem Direktor, den Safe aufzumachen. Er ging zum Safe und öffnete ihn. Antoine gab ihm den Koffer und der Direktor wusste sofort was er machen sollte. Als er fertig war, nahm  Antoine den Koffer und zog dem Direktor die Maske weg. Unter der Maske hatte sich das Blut aus seiner gebrochenen Nase gesammelt und als die Maske weg war, floss es über das weiße Hemd des Direktors. Schnell war er auch ohnmächtig. Antoine ging aus dem Büro raus und sah, dass im Schalterraum alles unter Kontrolle war. Er gab René das Zeichen, dass alles in Ordnung war. Die beiden hielten die Luft an, zogen die Masken runter und verließen die Bank. Seelenruhig gingen sie zu ihren Autos und fuhren weg.

            Die verlassene Wassermühle war ein perfektes Versteck. Sie befand sich am Waldrand und die Zufahrt führte über eine kleine Wiese, so dass man rechtzeitig merken konnte, ob ein Auto zur Wassermühle fuhr. Antoine und René hatten nach dem Überfall die Autos ausgetauscht und waren zur Wassermühle gefahren. Den ganzen Tag und die ganze Nacht beobachteten sie die Zufahrtsstrasse und hörten den Polizeifunk ab. Es war Großalarm ausgelöst worden. Sie wurden  überall gesucht. Der Plan war, die Beute zu teilen und sich zu trennen. Aber Antoine hatte einen anderen Plan. Das war die Gelegenheit seines Lebens. Sein Teil  wäre nicht groß genug gewesen für einen neuen Anfang. Er wollte die ganze Beute nur für sich alleine haben. Es gab nur einen Ausweg: Er musste René töten!

René war kräftiger als Antoine und ihm war klar, dass das sehr schnell und überraschend sein musste. Er hatte Angst, dass vielleicht  jemand die Schüsse hören könnte und entschied sich, René zu erstechen. Sie saßen am Tisch und zählten das Geld. Antoine stand auf und ging zum Fenster. Draußen war alles ruhig. Er nahm vorsichtig sein Kampfmesser. Im Fenster spiegelte sich das Bild von René. Er saß ahnungslos am Tisch und zählte das Geld. Antoine drehte sich langsam um und hob die Hand mit dem Messer. In diesen Moment hob René den Kopf und als er das Messer in Antoines Hand sah, ahnte er, was jetzt kam. Antoine warf das Messer und er traf René in die Brust. Er riss die Augen weit auf, griff noch mal nach dem Geld und kippte um. Antoine ging zwei Schritte nach vorne und schaute über den Tisch nach René. Er lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Antoine schaute noch mal durchs Fenster. Es wurde ein wenig duster. Er war müde.

***

            Jenny und Gareth machten schon das zweite Jahr Urlaub in die Frankreich. Sie liebten die Landschaft  und besonders die französische Küche.  Den Urlaub verbrachten sie mit Spaziergängen und der Erholung vom alltäglichen Stress in London. Diesen Samstag machten sie ihren letzten Ausflug, bevor sie am nächsten Tag auf die Insel fliegen wollten. Sie gingen durch den Wald und suchten  Pilze. Es fing an zu regnen. Ihr Auto hatten sie in einem Dorf zurückgelassen. Gareth schaute auf seine Wanderkarte und sagte:

            – “Hier in der Nähe müsste eine Hütte sein. Lass uns dort eine Pause machen.“

 Jenny stimmte zu. Nach ein paar Minuten kamen sie aus dem Wald raus und sahen eine Wassermühle.

– „Es sieht so aus als ob dort niemand wohnt.“ – sagte Jenny.

– „Das ist doch egal. Gehen wir rein und machen wir ein Feuer! Das kann sehr romantisch werden“ – sagte Gareth und küsste Jenny auf den Nacken.

– „Du, Ferkel!“ –sagte Jenny und schaute ihn verführerisch an. Sie gingen in Richtung des Hauses.

            Antoine wachte auf und hörte die Schritte. Er duckte sich und entsicherte die Pistole. Zwei Stimmen kamen immer näher. Ein Gesicht klebte sich an das Fenster. Antoine konnte nicht verstehen, was dieses Gesicht sagte. Dann bemerkte er am anderen Fenster noch ein Gesicht und hörte einen Schrei auf Englisch:

 -“ Oh, mein Gott, drin ist eine Leiche!“.

Antoine nahm den Koffer und rannte raus. Sein Auto war im Wald  versteckt. Er rannte zum Auto und fuhr weg. Im Spiegel sah er eine Frau und einen Mann wie sie hinter ihm herschauten. „Verdammt!“ – dachte er – „Ich hätte nicht schlafen sollen! Hoffentlich haben die kein Handy dabei!“. Es fiel ihm ein, dass er sein Messer zurück gelassen hatte. Er war noch wütender. „Jetzt haben sie meine Fingerabdrücke!“ – dachte er. Die Straße führte zum nächsten Dorf. Er konnte nur an der Kreuzung vor diesem Dorf abbiegen. Kurz vor der Kreuzung sah er, wie zwei Polizeiautos aus der Richtung des Dorfes kamen. Er gab noch mehr Gas und hoffte, dass er die Kreuzung vor der Polizei erwischte.  Als er an der Kreuzung war, konnte er die Gesichter der Polizisten sehen. Er fuhr geradeaus und bemerkte im Spiegel wie die Polizeiautos hinter ihm abbogen. Die Straße führte zur Küste. Auf der linken Seite war eine hohe Felswand und auf der rechten Seite steile Klippen. Er musste sehr aufpassen, weil die Straße sehr kurvig war.

Die Polizei war ihm dicht auf den Fersen. Plötzlich sah er in der Ferne, wie noch drei Polizeiautos in seine Richtung fuhren. Er saß in der Falle! Fieberhaft dachte er nach. Er musste sich etwas einfallen lassen. Aussteigen und die Felswand hochklettern war aussichtslos. Es gab nur einen Ausweg! Das Meer! Er erinnerte sich an den Film mit James Dean und das Autorennen. Die Polizei kam immer näher. Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht. Er griff nach dem Koffer, und machte die Tür leicht auf. Mit einer Hand drehte er das Lenkrad in Richtung Meer und gab Vollgas. Das Auto musste weit fliegen denn nur so hätte er genug Zeit rauszuspringen. Als das Auto den Kontakt mit dem Boden verlor, jaulte der Motor auf. Antoine machte die Tür weit auf und warf sich in die Dunkelheit. Der Aufprall auf das Wasser war so heftig, dass er den Koffer losließ. Als er auftauchte, drehte er sich nach links und rechts und suchte den Koffer. Mit Erleichterung sah er, wie der Koffer auf der Wasseroberfläche schwamm. Die Polizeiautos standen an der Straße und die Polizisten hielten die Taschenlampen in Richtung Antoines Auto, das langsam im Meer versank. Antoine griff den Koffer und schwamm  Richtung Land.

***

            Antoine spürte den Drang, auf die Toilette zu gehen.  An der nächsten Tankstelle hielt er an. Auf dem Weg zur Toilette sah er ein Plakat mit einem ihm sehr bekannten Gesicht. Das war sein Foto. „Nur 10.000 Euro !?“ – fragte er sich verbittert. Auf der Toilette versuchte er eine Ähnlichkeit des Gesichtes im Spiegel mit dem Foto auf dem  Steckbrief zu entdecken. Er war zufrieden. Die Tampons, die er in der Mund steckte, machten sein Gesicht breiter und die Glatze machte ihn 10 Jahre älter. Schön war er nicht! Aber, das war er nie gewesen. Das Einzige was ihm am seinem neuen Gesicht gefiel, waren die blauen Augen. Nach der Schönheitsoperation würde er entscheiden, ob er weiter blaue Kontaktlinsen tragen würde. Er stieg ins Auto und fuhr  Richtung Montblanc. Hinter diesem riesigen Berg und mit dem Geld, das im Alukoffer lag, sollte sein neues Leben anfangen. Nur noch ein Hindernis lag vor ihm: Die Passkontrolle. Er hoffte, dass er mit dem gefälschten Pass und mit diesem Servicewagen des französischen Auto-Klubs keine Probleme haben würde. Er fuhr langsam zum Grenzübergang, rollte das Fenster runter und sagte zu dem Polizisten:

            -“ Bonjour!“.

Nachdem ihm der Zöllner gute Reise gewünscht hatte, musste er sich beherrschen, nicht mit Vollgas davonzufahren. Als er im Spiegel nichts Verdächtiges bemerkte, war im klar: Er hatte es geschafft!

Antoine lachte laut und sagte: „Au revoir, France!“ Das Rücklicht seines Autos verschwand im Dunkel des Montblanc Tunnels.

Kurz danach ging eine Nachricht um die Welt:

„Inferno! Großbrand im Montblanc Tunnel!“

Das war eine der größten Brandkatastrophen  Frankreichs. Ein LKW ging in Flammen auf und alles lief rasant schnell. Die Autofahrer die nah an der Unfallstelle waren, hatten keine Chance. Sie erstickten im Rauch und ihre Körper verbrannten bis zur Unerkenntlichkeit.

Die Hitze war so groß, dass die Alukoffer schmolzen.

Ein Tischtennisball, ein Joint und die Rothaarige

Ein Tischtennisball, ein Joint und die Rothaarige

           Es gibt Sachen im Leben, die man nie wieder erleben möchte. Es gibt auch Erlebnisse, die man gern fortsetzen  würde, aber die bleiben nur eine schöne Erinnerung. Vielleicht sind diese Erinnerungen gerade deswegen schön, weil sie nicht fortgesetzt wurden.

            Ich spielte schon immer gern Tischtennis. Als ich ein Kind war, baute ich mit meinem Vater und meinem Bruder einen Tisch zum Tischtennisspielen in unserem Ferienhaus. Der Tisch war etwas kleiner als ein echter und als Netz benutzten wir einen Kartoffelsack. Das störte uns nicht, sodass wir richtige Wettkämpfe in unserer Nachbarschaft organisierten. Eines Tages ging unser letzter Ball kaputt. Meine Eltern waren nicht zu Hause und mein Taschengeld war erschöpft. Wir wollten unbedingt weiter spielen, aber ohne Ball kann man schlecht Tischtennis spielen. Ich ging in einen Supermarkt und klaute einen Ball. Fröhlich ging ich nach Hause und spielte mit dem Ball. Der Ball  fiel plötzlich auf den Boden, genau unter meinen Fuß und ich trat drauf. Der Ball war kaputt. In diesem Moment wurde mir klar, dass  Klauen nichts für mich ist. Ich klaute nie wieder etwas.

            Im Leben gibt es Situationen, wo man sich wünscht, irgendwo anders zu sein. In so einer Situation, als er mir sehr schlecht ging, wollte ich probieren, wenigstens für kurze Zeit in eine andere Welt einzutauchen. Ich wollte einen Joint rauchen. Den Joint bekam ich von einem Kollegen dem es scheinbar oft schlecht ging, da er viel kiffte. Ich schloss mich zu Hause ein, stellte das Telefon ab und trat alle Sicherheitsvorkehrungen, damit ich im Rausch keine Dummheit machen konnte. Wie nervös ich nur war! Endlich zündete ich in großer Erwartung, was passieren würde, den Joint an. Am Anfang passierte nichts. Es würde mir ein wenig schwindelig und nichts weitere. Plötzlich musste ich zu Toilette rennen und brechen. Zwei Stunden verbrachte ich mit dem Kopf über den Kloschlüssel. Die nächsten Tage war ich so depressiv wie noch nie in meinem Leben! Dann entschied ich mich, nie wieder in meinem Leben Drogen zu nehmen. Und so blieb es!

            Als ich in ein neues Apartment zog, stellte ich fest, dass ein Haus mit vielen Apartments für einen Single optimal ist. Ein großer Teil der Nachbarn waren auch Singles. So eröffnete sich mir ein ganz neuer Horizont. Ich bemerkte sehr schnell eine Nachbarin mit rotem Haar, wunderschönen Sommersprossen und blauen Augen die mir den Atem raubten. Wir trafen uns manchmal im Aufzug und wechselten ein paar Worte. Ich weiß es immer noch nicht, ob ich mir das einbildete oder ob es wirklich so war: Es lag etwas in der Luft. Sie lächelte und schaute mich  immer an und als ich merkte dass sie wusste in welchem Stockwerk ich wohnte – einmal, als ich mit dem Aufzug fuhr, drückte  sie den Knopf für den zweiten Stock, mein Stockwerk –, dachte ich mir: Da ist etwas drin. Leider gab es nie viel Zeit zum Reden oder besser gesagt: Mir fehlte der Mut. Wir waren sehr schnell im meinem Stockwerk und sie fuhr weiter. Alle Männer träumen davon mit einer attraktiven Frau in einem Aufzug  stecken zu bleiben. Natürlich ich auch aber dieser verdammte Aufzug fuhr ohne Störungen.  Es war Ostern und ich legte einen Schokohase auf die Motorhaube ihres Autos. Wie es der Zufall wollte, trafen wir uns am nächsten Tag. Ich merkte, dass sie nicht sicher war, ob der Hase von mir war. Sie schaute mich in der Erwartung, dass ich etwas sagen  würde, an. Ich sagte nichts. Und so ging es weiter. Unser Flirt wurde von der Geschwindigkeit des Aufzugs bestimmt. Eines Tages stand ein LKW vor dem Haus. Sie zog aus. Wie sauer ich nur auf mich war! Ich wusste nicht mal, wie sie hieß! An diesem Abend steckte ich eine Rose unter den Scheibenwischer ihres Autos. Ihr Auto stand nie mehr auf ihrem alten Stellplatz und ich sah die Rothaarige nie wieder.

Der Indianer  oder  Wie ich Deutsch lernte

Der Indianer oder Wie ich Deutsch lernte

Die ersten Wörter der deutschen Sprache lernte ich schon als Kind. Das waren die  Wörter: „Los“, „Banditen“, „Hilfe“, „Attacke“…., die deutsche Soldaten in den Kriegsfilmen schrieen. Wir machten diese Filme in unseren Kriegsspielen nach, aber keiner wollte „Švabo“ sein. In meiner ehemaligen Heimat lebten Banat- Schwaben und so sind alle Deutschen für uns die Schwaben – „Švabe“. Ich war immer der Freiheitskämpfer, der mit dem letzten Schrei: „Naprijed drugovi!“ (Vorwärts Kameraden!), „Živjela sloboda!“ (Es lebe die Freiheit!) im Gefecht fiel. So oft starb ich als Held, dass ich mindestens einen Orden verdient hätte.

Den ersten Satz lernte ich natürlich wieder mit Hilfe eines Films. Es gab einen Film über Kinder, die beim Spielen ein Weizenfeld anzündeten. Von der Gestapo wurde ein Student, ein Untergrundkämpfer, dafür beschuldigt und verhaftet. Schützer, der Mann von der Gestapo, glaubte den Kindern nicht, dass sie das gemacht hatten. Er schickte einen Soldaten mit einer Trommel auf den Marktplatz des Dorfes und er trommelte und schrie:“ Es wird bekannt gegeben…!!!“ und er gab bekannt, dass der Student hingerichtet werde. Ich heulte und schwor eines Tages Student zu werden. Wenn mich Erwachsene später fragten, was ich werden möchte, antwortete ich: „Student!“

Das geschah auch nach vielen Jahren. Nena mit ihren Luftballons und die Show „Der Preis ist heiß“ brachten mir die Zahlen bei. Die Obstsorten lernte ich von der Tutti-Frutti-Show. Das ging nicht so leicht, weil ich einerseits von Mädchen abgelenkt wurde, andererseits schliefen meine Eltern um diese Uhrzeit schon und das Fernsehen leiser laufen musste.

Nach dem Ausbruch des Krieges in Slowenien und Kroatien bekam ich einen Brief von den Herren Generalen, wo sie mich zu ihren „Kriegspielen“ einluden. Ich sollte in diesen Spielen „Švabo“ sein! In meinem Kriegsspiel war ich immer ein Kämpfer für die Gerechtigkeit und die Freiheit gewesen, und jetzt sollte ich andere Leuten ihrer Freiheit berauben und vielleicht irgendwo am Marktplatz trommeln und „Es wird bekannt gegeben…“ schreien! In diesem Spiel wollte ich nicht mitspielen.

Das Versteckspiel mit der Militärpolizei dauerte zwei Monate und als es zu heiß wurde, kaufte ich ein Serbokroatisch-Deutsches Wörterbuch und fuhr über Ungarn zu meinem Onkel und meiner Tante nach München. Ich hatte die Absicht, schon nach ein paar Wochen zurückzufahren und ein Geschäft in Sarajewo aufzumachen. Die Situation in Bosnien aber wurde jeden Tag schlimmer und schlimmer, so dass sich meine Rückkehr immer wieder verzögerte. Die ungewissen Tage verbrachte ich damit, mit dem Hollandrad meine Tante quer durch das München zu fahren. Bei schlechtem Wetter blieb ich zu Hause und klebte Zettel mit den jeweiligen deutschen Namen auf die Gegenstände, die in der Wohnung waren. Bevor die Tante nach Hause kam, machte ich sie weg und am nächsten Morgen klebte ich sie wieder auf.

Im Frühling brach der Krieg auch in Bosnien aus. Im Fernsehen sah ich maskierte Männer mit Kalaschnikows in den Händen vor dem Haus, wo meine Eltern und ich wohnten. Jeder Kontakt mit meiner Eltern, meinem Bruder, meinen Verwandten und Freunden war abgebrochen. Aus Verzweiflung und Hilflosigkeit machte ich einen Hungerstreik auf dem Marienplatz und versuchte den Leuten auf Englisch zu erzählen, worum es in Bosnien ging. Nach meiner Anerkennung als Flüchtling durfte ich auch arbeiten. Beim ADAC bewarb ich mich als Küchenhilfe, aber ich  bekam eine Stelle als Aushilfe in der Kuvertierung. Der Meister, bei dem ich arbeitete, war ein echter Bayer und konnte mir beim Deutschlernen nicht viel helfen. Er versuchte zwar mit mir zu kommunizieren -„Du gut sleepen?“-, aber seine Englisch- und meine Deutschkenntnisse reichten nicht aus. Er schimpfte den ganzen Tag und ich wusste nicht warum. Die Maschine putzte ich jeden Tag nach Feierabend – obwohl ich nicht musste –  nur dass er mit mir zufrieden war. Erst später wurde mir klar dass seine schlechte Laune nichts mit mir zu tun hatte. Er war einfach ein immer schlecht gelaunter Mensch.

Ich stürzte mich in die Arbeit. Nach der Arbeit beim ADAC, putzte ich 2000qm Büroräume bei Siemens. Am Wochenende fuhr ich Pizza aus. Zum Deutschlernen blieb mir wenig Zeit. Ich lernte während der Arbeit an der Maschine. Am Abend schaffte ich es gerade noch die Nachrichten aus Bosnien bei Radio Köln zu verfolgen. Vor der Sendung in bosnischer Sprache lief Sendung auf Spanisch, so dass ich auch etwas Spanisch lernte: „Hasta maňana a la misma hora. Buenos Noches!“

Bald war ich soweit, dass ich die Bild-Zeitung lesen konnte.

Eines Tages stürzte ein Flugzeug in Südamerika ab und dabei starben 165 Menschen. Ich kaufte am nächsten Tag die Bild-Zeitung und sah auf der Titelseite ein Foto mit einer Blondine und einem Indianer. Die Überschrift lautete: “ Der Indianer ist weg!“ Die Nachricht über den Flugzeugabsturz stand erst auf Seite vier, zusammengefasst in drei Zeilen. Mir war der Indianer unbekannt und ich dachte, dass er bestimmt ein sehr wichtiger Mann war, wenn schon die Nachricht über seiner Verschwinden wichtiger war als der Tod von 165 Menschen. Aus dem Artikel erfuhr ich, dass die Blondine eine Schauspielerin war und dass der Indianer sie verlassen hatte (was ich verstehen konnte).

Ich kaufte nie wieder die Bild-Zeitung.

Mein Deutsch machte kleine Forschritte. Als ich das erste Mal eine Radioübertragung eines Fußballspiels verfolgen konnte, war mir klar, dass ich Deutsch inzwischen ein wenig beherrschte.

Irgendwann später sah ich im Vorbeigehen auf der Titelseite der Bild-Zeitung das Foto eines Mannes, der mir bekannt vorkam. Das war der Indianer! Die Überschrift lautete: „ Der Indianer ist zurück!“. Wie erleichtert  ich nur war! Gott sei Dank! Jetzt war die Welt wieder in Ordnung.

Der Krieg in Bosnien dauerte noch fast zwei Jahre.

Ich verliebte mich und blieb in Deutschland.

Meine Freunde in Bosnien nennen mich jetzt: Švabo.